Blockchain + Weinbranche = Igittigitt, oder warum es noch dauert, bis die digitale Revolution bei Weingütern ankommt

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die weinräte  waren letzte Woche mit ihrem Geschäftsmodell – einer extensiven Unternehmensberatung ausschließlich für Weinerzeuger – im Halbfinale des Hessischen Gründerpreises 2018. Der inspirierende Drive und die Innovationskraft aus anderen Branchen findet man in der deutschen Weinindustrie kaum. Die Offenlegung und Nachvollziehbarkeit von Geschäftsmodellen/Produkten z.B. via Blockchain, ist für Nicht-Wein-Startups „normal“. Digitalisierung findet bei Weingütern aber bisher faktisch nicht statt. Hauptgrund hierfür ist die tradierte eierlegende Wollmilchsau-Mentalität der deutschen Winzer. Diese resultiert aus der eigenen, romantisierten Außendarstellung.

Leitthema des 63. Internationalen Kongresses des Deutschen Weinbauverbandes im Rahmen der Winzer-Fachmesse Intervitis vom 4.-6. November 2018 ist „Weinbau 4.0 – Digitalisierung in der Prozesskette“. 2011 wurde der Begriff „Industrie 4.0“ das erste Mal zur Hannover-Messe geprägt. Schon damals hat parallel der moderne Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie in der klassischen Landwirtschaft Einzug gehalten. Seit 2015 wurde der internationale Begriff des Smart-/Digital-/Precision-/e-Farming in Deutschland mit „Landwirtschaft 4.0“ übersetzt. Und erst jetzt, Ende 2018, fängt langsam „Weinbau 4.0“ an!?!

Wieso gibt es quasi keinen professionellen Landwirtschaftsbetrieb (formerly known as „Bauernhof“) in Deutschland, der nicht Smart Farming betreibt? Gleichzeitig gibt es aber aktuell wohl nicht einen Wein-Bauern, der die schon vorhandenen Technologien seiner Kollegen aus der klassischen Landwirtschaft verwendet? Kartographierung mit Hilfe von Drohnen, Messung der elektrischen Bodenleitfähigkeit, Biomasseverteilung, Düngezyklen, GPS-gesteuerte Bodenbearbeitung hören sich für >99% der Winzer noch genauso unbekannt an, wie die sprichwörtlichen ‘böhmischen Dörfer’.

Aber auch die Zulieferer haben noch „digitale Luft nach oben“. Die zur Feststellung der Verkehrsfähigkeit gesetzlich vorgeschriebene Qualitätsweinprüfung wird in fast allen weinbautreibenden Bundesländern noch so vor- und nachbereitet wie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Handschriftlich oder per guter alter Schreibmaschine muss ein Formblatt mit mehreren Durchschlägen vom Winzer ausgefüllt werden. Eingefügt werden noch die Daten vom Weinlabor – auch händisch und somit fehlerquellenbehaftet. Beides wandert in die zuständige Behörde. Dort werden alle Daten mühsam entziffert (Achtung: Handschrift) und in das behördeneigene System eingetippt.

Irgendwann erhält dann der Winzer mit dem Faxgerät oder klassisch per Post die offizielle Nachricht, dass sein Wein die Amtliche Prüfnummer bekommen hat. Und ein Jahr später geht dasselbe Spiel 1:1 von vorne los: Warenwirtschaft aufrufen und lostippen. Zeit, Nerven und somit Geld, die von allen Beteiligten in anderen Bereichen besser investiert gewesen wären. Fallweise werden wenigstens schon elektronische Dateneingabemasken verwendet, d. h. der Prozess ist zwar noch nicht digital vernetzt, aber digitaler als vorher. Bis zu einer schnittstellenbasierten Lösung für alle Beteiligten ist es aber noch ein langer Weg.

Was sich im ersten Moment wie Science-Fiction oder kaltherziger Kapitalismus anhört, hilft hoffentlich Winzer und Verbraucher. Bessere Weine dank Digitalisierung:  (An-)organischer Dünger wird kosten- und ressourcensparend grundwasserneutral ausgebracht. Pflanzenschutzmittel werden von Drohnen punktgenau appliziert und ersetzen somit das breitflächige Sprühen von Pestiziden. Roboter rupfen Unkraut in der Steillage, die sonst als Brache enden würde und helfen dem Winzer, dank autonomen Arbeiten, dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Big Data überwacht die Gärprozesse und führt – in Kombination mit Kellermeister-Erfahrung und gesundem Bauchgefühl – zu einer exakteren Gärführung. Der fertige Wein erhält dann einen einheitlichen Produktpass mit allen wissenswerten Details – frei zugänglich für Behörden, Zulieferer (z. B. Weinlabore, Warenwirtschaftssysteme), Multiplikatoren inkl. Presse aber vor allem für interessierte, wissbegierige Kunden. Was für eine Bodenart hat der Weinberg, wie war der Witterungsverlauf, welche Hefen wurden verwendet, was für ein Fassreifung wurde genutzt? Ganz transparent werden so alle Fragen beantwortet – egal ob für Sommelier oder Privatkunde.

Man muss ja nicht gleich alles digitalisieren – allein schon aus Kostengründen. Aber warum tun sich Winzer mit modernen Technologien so schwer? Die Konsumenten tragen hierfür auch die „Schuld“! Ob Falcon Crest in den 80ern oder Der Winzerkönig Ende der Nuller-Jahre – das Bild eines Weinguts beim Verbraucher hat sich im Laufe der Jahrzehnte kaum verändert. Weinliebhaber wünschen/verlangen vom Winzer, dass er morgens als Pflanzenschutzexperte auf dem Traktor im Weinberg arbeitet. Am Nachmittag mutiert er dann zum Biochemie-Fachmann in Keller und Weinlabor. Abschließend am Abend kümmert er sich noch als BWLer um die Administration. Und wenn Kunden ihn dann am Wochenende besuchen, dann ist er bitte das stets gutgelaunte B2C-Online-Offline-Marketinggenie.

Eigentlich ist allen Beteiligten klar, dass das nicht funktionieren kann. So viele Bälle professionell allein zu jonglieren geht nicht – da muss der eine oder andere Ball runterfallen. Der Marktdruck führt nun dazu, dass Winzer dies zwar wissen aber  a) aufgrund der Aufgabenvielfalt keine Zeit bleibt gegenzusteuern,  b) der Mut fehlt, als Erster im Kollegenkreis sich zu verändern aber vor allem  c) es sich die Winzer in ihrer romantischen Low-Tech-Nische über die Jahre gemütlich gemacht haben. Es geht doch auch so…

In anderen, weniger traditionsbehafteten Ländern geht man schon seit Jahren neue Wege. Jeder macht, was er am besten kann. So gibt es insbesondere in Nordamerika Winzer, die sich ausschließlich auf die Erzeugung hervorragender Trauben konzentrieren. In Napa Valley wurde im Durchschnitt (!) 2017 für Cabernet-Sauvignon-Trauben 7,42 $/kg bezahlt. Selbst Chardonnay, noch am ehesten mit Riesling zu vergleichen, wird noch mit durchschnittlich 2,74 $/kg taxiert. Deutsche Winzer erhalten aktuell umgerechnet für Rieslingtrauben aus der Pfalz 0,80 €/kg = 0,94 $/kg. Wie kommt es zu diesen Preisunterschieden? Neben dem generell höheren Preisniveau in den USA, gibt es für jede Stufe des Weinerzeugungsprozesses hochspezialisierte Experten. Dadurch bleibt mehr Zeit, Konzentration und Innovation für den einzelnen Schritt. Während deutsche Weingüter zwar 100% des Prozesses abbilden, aber bei den einzelnen Schritten nur selten perfekt arbeiten können, agieren die US-Kollegen exakt umgekehrt.

Wo geht die Reise hin? Das Hand-in-Hand-Arbeiten von Traubenproduzent mit Weinkeller und Vermarkter in der „Neuen Welt“, wird sich immer mehr auch in der „Alten Welt“ durchsetzen. Warum nicht gleich für komplette Transparenz schaffen? Kunden wollen heute wissen, wo Lebensmittel herkommen und wie sie hergestellt werden. Sinnbild hierfür ist der Megatrend „Regionalität“, bei dem man wenigstens ein Gefühl dafür hat, woher das Produkt kommt.

Während Otto Normalverbraucher digitalen Währungen wie Bitcoin & Co. und der dahinterliegenden Blockchain-Technologie noch skeptisch gegenübersteht, ist man in Übersee schon viel weiter. Die äußeren Umstände (Inflation, Korruption etc.) zwingen Unternehmer in vermeintlichen Dritte-Welt-Ländern dazu, kreativer und unvoreingenommener vorzugehen. Mit Bodegas Costaflores (https://costaflores.com) entsteht in Mendoza, Argentinien das weltweit erste Blockchain-Weingut. Die selbsternannte Open-Source-Winery gibt sogar mit „Wine Coins“ eine eigene Kryptowährung heraus. Nukleus ist aber die Offenlegung der kompletten Prozesskette. Der Kunde weiß woher die Trauben kommen, wie aus ihnen Wein wurde, dieser abgefüllt, etikettiert, vermarktet wird und über welchen Weg dann die Flaschen zu mir kommen. Gerade neugierige Weininteressierte erhalten so wertvolle Einblicke. Und für „meinen Wein“, den ich von A bis Z kennengelernt habe, bezahle ich gerne mehr als für eine anonyme Allerweltsflasche.