Kurzversion

 

Die Hawesko Holding AG verleibt sich mit Wein & Co den führenden Weinhändler Österreichs ein. Nach den Übernahmen von Freixenet Cava durch Henkell-Söhnlein, Eggers & Franke Weinhandel von Rotkäppchen-Mumm und Rindchen.de via Schloss Wachenheim kommt es zur nächsten Fusion in der deutschen Weinbranche.

Die Imperien schlagen zurück! Selbst Brancheninsider reiben sich verwundert die Augen, mit welcher Geschwindigkeit die Fusionitis in den vergangenen Monaten um sich gegriffen hat. In den letzten Jahren hatten vor allem Online-Weinstartups von sich reden gemacht. Kaum eine nationale Tageszeitung oder ein Wochenmagazin, das nicht regelmäßig mit ganzseitigen Anzeigen von Vicampo.de aufwartet. Jetzt greifen die Dickschiffe der deutschen Weinwirtschaft tief in ihre Kassen und kaufen sich Marktanteile und Geschäftsmodelle zu.

Synonym hierfür ist die Übernahme von Wein & Co durch Hawesko (Mutter u. a. von Jaques‘ Weindepot, WirWinzer.de, Vinos.de). Das innovative Konzept mit einer Mischung aus Weinhändler, Bistro und Café in ungezwungener Atmosphäre richtet sich 1:1 an die Zielgruppe der Zukunft: urban geprägte, kaufkräftige Millenials. Deren Ansprüche an eine ausgewogene Work-Life-Balance werden durch solche Einkaufserlebnisse erfüllt. Heute offline in der Innenstadt genießen und sich morgen online beliefern lassen – Weinfreund, was willst Du mehr? Der kleine Weinhändler um die Ecke kann zumachen. Bahn frei für die schöne neue Weinwelt!

Aber der Konsument ist nur scheinbar der Gewinner. Mehr Weingüter, cool-lockere Kundenansprache, vielfältigste Weinstilistiken. Noch nie war die Auswahl so groß. Aber dies scheint nur so zu sein. Hinter den bunten Weinkonzepten stecken entweder große Weinkellereien, die mit ausgeklügeltem Marketing eine Quasi-Vielfalt erzeugen. Oder alles kommt gebündelt aus einigen wenigen Händen, d. h. die Einkaufsmacht der Händler nimmt auch in der Weinbranche weiter zu.

Hauptverlierer ist der deutsche Winzer. Der Handlungsdruck hin zur Professionalisierung wird noch größer. Ähnlich wie in der klassischen Landwirtschaft, müssen auch diese eine stärkere Aufgabenteilung erreichen. Das romantische Weinbild der Deutschen verschwindet für immer!

 

Langversion

 

Vom privaten Weinfreund kaum wahrgenommen, hat sich die Weinhandelslandschaft in Deutschland in den letzten Jahren stark gewandelt und ist kaum noch wiederzuerkennen. Der klassische Alt-68er abgebrochene Lehramtsstudent, der um die Ecke im Nachbarstadtteil einen kleinen romantischen Weinladen betreibt, ist schon fast ausgestorben. Stattdessen dominieren wenige große Player den deutschen B2B- und B2C-Weinhandel. Mit der neuen Übernahme verschärft sich die Situation – ein Quasi-Oligopol ist entstanden. Dies hat auch gravierende Auswirkungen auf die Winzer in Deutschland und Europa. Mittelfristig könnten diese wenigen Player zukünftig ihre Marktmacht ausnutzen und die Weinpreise nach ihren Wünschen diktieren.

 

Schon so mancher aufmerksame Gourmet hat sich bestimmt gewundert: Egal ob beim Gang zu seinem Lieblingsitaliener, ins kleine Bistro um die Ecke oder in die wie Pilze aus dem Boden sprießende moderne deutsche Szenegastronomie. Gewisse Weine finden sich auf Weinkarten immer wieder. Ob Taittinger Champagner zum Aperitif, Mouton Cadet de Rothschild, Bordeaux; Robert Mondavi, Kalifornien; Antinori, Toskana oder Kloster Eberbach aus dem Rheingau – alle diese Weingüter und noch viele Dutzend mehr kommen aus einem Haus: von Wein Wolf, der Großhandelstochter der Hawesko Holding AG, mit 507 Mio. € Umsatz Deutschlands größter Weinhändler.

Als mit Abstand größter B2B-Zulieferer bietet Wein Wolf dem Gastronom eine extrem verlockende, kaum auszuschlagende Dienstleistung an: Wir nehmen Ihnen die ganze Arbeit ab und machen Ihre gesamte Weinkarte. Sie brauchen dann nur noch bei uns bestellen. Alles aus einer Hand bis hin zur vereinfachten Abrechnung! So, oder so ähnlich, lautet die Argumentationskette des Wein Wolf-Außendienstes.

Für immer mehr Gastronomen ist das eine große Hilfe und sie nehmen das Angebot bei der offensichtlichen Weinvielfalt gerne an. Dabei vergisst der Gastronom aber, dass in Großstädten meist nur wenige 100 Meter entfernt im nächsten Restaurant seinem (in)direkten Wettbewerber eine fast deckungsgleiche Weinkarte angeboten wird. Getrieben von Sonderaktionen, Incentives und bekannten Namen, kommt es so zu einer Quasi-Gleichschaltung des Weinangebots.

Dasselbe gilt für den Weinfachhändler. Trotz EU ist es immer noch einfacher nicht selbst zu importieren oder den Kontakt mit dem heimischen Winzer zu halten. Stattdessen wird von einigen wenigen Großhändlern gekauft. Neben Wein Wolf / Hawesko sind dies z. B. Schlumberger / Underberg, Weinkontor Freund, Eggers & Franke. Und so ähneln sich die Sortimente vieler selbständiger Händler bei näherer Betrachtung ebenfalls häufig. Der allgegenwärtige Miraval Rosé des Ex-Ehepaars Angelina Jolie & Brad Pitt ist hierfür ein gutes Beispiel.

Jetzt ist es mal wieder soweit, die nächste Fusionsrunde in Europa läuft. Hawesko hat sich Wein & Co, Österreichs führende Weinhandelskette einverleibt. Diese hat den Weinhandel im Nachbarland von Grund auf revolutioniert. Getragen vom dortigen nationalen Weinboom der letzten Jahre, gehören zu den 20 Filialen auch 7 Weinbar- und Restaurantbetriebe. Statt nur Weinhandel und nur Restaurant, wurden in 2016/17 durch einen intelligenten Mix aus Weinbar mit Bistrocharakter rund 43 Mio. € Umsatz erzielt. Die seit Jahren geplante aber für ein mittelständisches Unternehmen wohl zu fordernde Expansion in das weltweit führende Weinimportland Deutschland wird mutmaßlich nicht lange auf sich warten lassen.

Dann würde Hawesko seinen eigenen Wein Wolf-Kunden noch mehr Konkurrenz machen. Mit heute schon 306 Jacques‘ Weindepots, den Wein & Vinos-Filialen und ganz neu, mit den beiden Weinladen-Shops für Millenials, werden Fachhändler schon heute unter Druck gesetzt. Morgen werden sich dann auch immer mehr Szenegastronomen wundern, warum sie bei ihrem eigenen Wettbewerber Wein einkaufen sollten. Aber mangels Alternativen bleibt diesen wohl nichts anderes übrig.

Auch Online ist Hawesko sehr gut aufgestellt. Nach der Übernahme von Wein & Vinos, dem führenden Onlineshop für spanischen Wein in 2011, wurde Ende 2016 mit dem Online-Portal Wir Winzer die Nummer 2 der Shops für deutsche Winzerweine gekauft.

Aber auch in anderen Vertriebskanälen finden sich „die üblichen Verdächtigen“ an jeder Stelle wieder. Kaum gibt es mit Doppio Passo, einer Weinmarke aus dem Hause Botter bei Venedig, eine erfolgreiche „Innovation“ (wobei es diesen restsüßen, extrem zugänglichen Rotweinstil in Italien schon seit Jahrhunderten gibt), wird diese sofort kopiert und im Dutzend auf den Markt gebracht. Eggers & Franke heißt der Weindistributeur aus Bremen, der diesen Weinstil in Deutschland wieder neu populär gemacht hat. In allen Schienen des klassischen Lebensmitteleinzelhandels gibt es mittlerweile Weine im Stile eines Doppio Passo zu kaufen.

Aber das Fass läuft über. Jetzt gibt es auch, dem allgemeinen Rosé-Trend folgend, eine weitere Line-Extension mit dem Rosato, zusätzlich zur Bio- und Riserva-Variante. Und statt des empfohlenen Endverbraucherpreises von 6,99 € für eine Flasche Doppio Passo Primitivo, gibt es eine Vielzahl von billigen Me-too-Produkten. Im Hard-Discount werden diese für gerade einmal 3,59 €/Fl. mit im Vergleich zum Original zum Verwechseln ähnlichen Etiketten verkauft. Deutlich mehr, als der LEH-Durchschnittspreis von 2,19 €/Fl. in Deutschland – daher das Interesse aller Marktteilnehmer. Aber nicht mehr lange und auch diese Sau wurde genug durch das internationale Weindorf getrieben. Etwas Neues muss dann her – aber bitte aus den üblichen Quellen…

Und man ahnt es schon, auch die Eggers & Franke Holding ist nicht mehr selbständig, sondern seit März 2018 eine Tochter der Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien. Ein sehr geschickter Schachzug der Freyburger. Mit einem Marktanteil von über 55% am deutschen Sektmarkt, darf Rotkäppchen-Mumm mit seinen Marken Rotkäppchen, Mumm, Jules Mumm, MM, Geldermann etc. aus Sicht des Bundeskartellamts in Deutschland mit Schaumwein eigentlich nicht mehr weiterwachsen. Dies hat man durch die Übernahme eines der führenden Weinimporteure elegant umgangen. Eine Vielzahl von internationalen Champagner-, Prosecco-, und Cava-Marken gehören somit für den deutschen Markt indirekt zum Portfolio von Rotkäppchen-Mumm. So kann man auch wachsen.

Alle anderen großen Weinplayer fusionieren auch. Die Henkell & Co. Sektkellerei KG, eine Tochter der Dr. August Oetker KG, hat in den letzten Jahren in Italien (Mionetto Prosecco) und aktuell in Spanien (Freixenet Cava) gekauft. Einer der größten Schaumweinhersteller der Welt, die Schloss Wachenheim AG (ehem. Sektkellerei Faber) hat Mitte 2017 mit Rindchen.de eine der letzten großen unabhängigen Privat-Weinfachhandelsketten gekauft. Ein großer Familien-Wein-Webshop, Silkes Weinkeller, war zuvor schon von Burda gekauft worden.

Was bedeutet dies alles nun für den deutschen Weinmarkt? Nur scheinbarer Gewinner ist der Konsument. Aktuell hat dieser dank Internet und Regionalisierung im deutschen LEH sogar mehr Auswahl als früher. Aber sein Lieblingswinzer aus den Urlaubsländern am Mittelmeer schafft es bei so einer Einkaufsmacht nicht, nördlich der Alpen Fuß zu fassen. Nur einige wenige Großweingüter und Kellereien bleiben übrig. Diese suggerieren mit einer Vielzahl an Untermarken eine nur scheinbare Riesenauswahl für den Weingenießer. Und inwieweit die Oligopolisierung zu steigenden Weinverkaufspreisen führen könnte, bleibt abzuwarten.

Für die Weinfachhändler und kreativen Gastronomen wird es schwieriger. Sie müssen selbst proaktiv die ausgetretenen Pfade verlassen und den direkten Kontakt mit den Weingütern suchen. Hierin besteht ihre Chance, proaktiv die Angebotsstandardisierung bei ihren Kunden anzusprechen und somit gegenzusteuern. Offline-Individualität statt Online-Einheitsbrei.

Noch schwieriger wird aber die Situation für den klassischen deutschen Winzer. Nicht nur, dass er – etwas übertrieben ausgedrückt – am Vormittag auf dem Traktor sitzt, am Nachmittag im Keller die Weine pflegt und sich am Abend um die Administration kümmert. Zusätzlich soll er an den Wochenenden auch noch entweder auf Weinfesten mit seinem Ausschankwagen stehen, oder lustig-charmante Weinproben in seinem Gut für Weinfreunde halten. Das Familienleben blieb da schon in der Vergangenheit auf der Strecke.

Der Druck auf die Winzer wird größer, noch professioneller zu werden. Die Weinbauer-sucht-Frau-Romantik ist schon lange passé. Mehr Arbeitsteilung, mehr Konzentration auf die eigenen, individuellen Stärken bei Verteilung der Fixkosten tut not. Da, wo die klassische Landwirtschaft schon seit Jahren ist, müssen deutsche Winzer erst hin. Noch kann die Anzahl an Winzern, die GPS-gesteuert effizient ihre kleinteilig parzellierten Weinberge punktgenau bearbeiten locker an einer Hand abgezählt werden.

Noch steiniger ist für Weingüter der Weg in der Vermarktung: Social Media-Präsenz, Online-Shop, Vertriebsgemeinschaften, B2C-Weinevents vor Ort sind nur einige Oktaven der Klaviatur, die bisher noch von zu wenigen Winzern bespielt werden. Mit der Weinrührseligkeit deutscher Vorabendserien hat dies wenig zu tun. Diese Weingüter sterben aus. Gleichzeitig aber ergeben sich große Chancen für die moderne deutsche Winzergeneration. Markus Schneider, Christian Ress, Christoph Hammel, Eva Vollmer sind nur einige Beispiele der aktuellen, positiven Aufbruchstimmung im deutschen Weinbau.

 

die weinräte by Wein & Rat GmbH ist ein Unternehmen, das Experten aus den Bereichen Weinbau, Önologie, Betriebswirtschaft und Marketing miteinander vereint und sich auf die Vermittlung von Weingütern spezialisiert hat. Aus der Plattform für Betriebsnachfolge ist eine stetig wachsende Beratungsfirma geworden, die alle Aspekte der Weinbranche abdeckt. Zur klassischen Unternehmensnachfolge, Beteiligungen & Anlageobjekten kam das große Feld der operativen und strategischen Beratung von Weingütern hinzu.


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